Elsa Oßwald
Assistenz der Geschäftsleitung
& Ausstellungskoordination
Wissenschaftszentrum Bonn
Ahrstr. 45
53175 Bonn
15.03.2019 - 24.05.2019 - Casino
Ausstellung von Marianne Lemmen
Pflanzen und Tiere sind eng und unabdingbar mit ihrer Umwelt verflochten. Heute jedoch greift der Mensch für die Belange seines Lebenserhalts und seiner Lebensgestaltung in diesen Naturzusammenhang ein. Das einzelne Geschöpf muss sich den Systemen, Zwängen und Normen des Menschen unterordnen. Die Frage nach der Existenz von Tieren macht die Künstlerin Marianne Lemmen zum Ausgangspunkt ihrer Malerei. Sie zeigt Tiere und ihre Überlebensstrategien in ihrer unendlichen Vielfalt und visualisiert die durch den Menschen geschaffenen Begrenzungen im Leben der Tiere durch plane Hintergründe. Durch die Ästhetisierung dieser Überlegungen positioniert sich die Künstlerin für Nachhaltigkeit und Naturschutz.
„Karte und Gebiet“, oder besser wohl „Karte und Gelände“ nennt Michel Houellebecq 2012 einen Roman – „Raster und Natur“ könnte man, unabhängig vom französischen Autor und doch verwandt mit ihm, Marianne Lemmens Naturbilder nennen. Wohl selten hat eine Künstlerin – oder wahlweise ein Künstler – so konsequent ihren gesamten Lebensweg letztlich in die von ihr geschaffene Kunst münden lassen:
Aufgewachsen in den 50er Jahren auf einem niedersächsischen Bauernhof und von Kindheit an mit einem unbändigen Drang zum Zeichnen und Gestalten ausgestattet, konnte Marianne Lemmen aufgrund einer Begabtensonderprüfung Graphik und Kunst studieren und arbeitete dann in ihrem Erwerbsleben als Graphikerin bei der Bayer AG in den Bereichen „Tiergesundheit“ und „crop science“, der Kommunikation von erfolgreicher Praxis der Agrarwirtschaft mit den Ernteerträgen, also auf den Gebieten, die der elterliche Hof einst in der Praxis betrieb.
Im Ruhestand in die künstlerische Freiheit entlassen, machte Marianne Lemmen genau diese Felder ihres Lebens zum Thema ihrer Malerei und führte so ihr bisheriges Leben in ihrer Kunst zusammen, ohne dabei vom Saulus der Agrarchemie zum Paulus der Ökologie zu werden, wie einst der Bundeswehrgeneral Bastian zum Sprachrohr der militanten Friedensbewegung mutierte.
Sie hält die zwangsläufige Spannung zwischen einem gefühlten Naturverständnis und der Zwangsläufigkeit, siebeneinhalb Milliarden Menschen auf der Erde und durch die Erde >natürlich ernähren zu müssen. Für den Bauern ist jede Kuh ein Individuum, wie „Yvonne“ auf Lemmens Bild; für den Agrarwissenschaftler ist sie die berüchtigte „rauhfutterverwertende Großtiereinheit“ der DDR-Statistiken: Wie sonst sollte man denn Milch- und Fleischkühe, Färsen, Bullen, Ochsen, Pferde, Esel und Kälber jeglicher Entwicklung und Größe statistisch rastern, wenn es lediglich um den Futterbedarf in Tonnen, die Stall- und Weidefläche in qm und den Arbeitsaufwand in Mannstunden geht?
Bestimmt hat Noah die Vorräte an „Speise, dir und ihnen zur Nahrung“ (1. Mose 6, 22) nach der Kopfzahl bei Menschen- wie bei „rauhfutterverwertenden Großtiereinheiten“ berechnet.
Auch Marianne Lemmen hat in ihrer 2011 bis 2014 entstandenen „Arche“ des 21. Jahrhunderts „Kühe, Schweine, Schafe, selten gewordene Nutztiere“ bewahrt, die sonst durch die Flut der Rassennormierung und Vereinheitlichung heutiger landwirtschaftlicher Großproduktion zugunsten ertragreicherer und aufwandsärmerer Rassen untergegangen wären: Fünfzehn Bilder bewahrenswerter Tiere im Format 40 x 50 sind zu einem dreistöckigen Arche-Kasten mit jeweils fünf Kammern gehängt.
Natur und Raster; Individuum und verwaltungs- oder agrartechnische oder nur haltungsvereinfachende Normierung – das sind die großen Themen der Marianne Lemmen – ob „Brieftaubenparadies im Internet“ (2014), „Ara-Nirwana“ (2014), „Fische“ (2008), „Raubvögel“ oder „Eulen“ (beide 2014). Das Diptychon „Barschvielfalt/Barsche verschwunden“ (2012) mit 27 individuell bunten und 27 verschwundenen, d. h. im Bild ausgesparten Barschen zwingt dieses Thema spannungsreich in ein Doppelbild.
Anklagend ist dies nie gemeint – nur konstatierend. In die Kunstgeschichte sind Marianne Lemmens Bilder als Stillleben einzuordnen, seien es Blumen und Früchte – „Feldblumen“ (2014), „Weizen“ oder „Mais“ (beide 2010) – oder Speisen. Da werden Trauben wie für den oder das Schicksal eines „Roter Thunfisch – aufgegessen“ (2014) verfolgt – portioniert und serviert auf einem Rastergrund aus Grätenskeletten. Und da wachsen, wohl wörtlich genommen, 2015 „Pommes de terre“ oder „Pommes en Campagne“ wie Pommesbudenfritten gleich in Tüten aus der Erde.
Aber auch die individuell porträtierten lebenden Tiere haben in ihrer Altmeisterlichkeit etwas von Stillleben, erinnern an Niederländer oder Maler wie Maria Sibylla Merian, die für zoologische Prachtwerker gearbeitet haben. Und im Betrachter der Lemmenschen Bilder von Natur und Raster, Individuum und Normierung stellt sich bald die Empfindung ein, die der Kritiker Manfred Schwarz 2011 anlässlich einer Ausstellung von Tierstillleben in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe in einem Ausruf zusammenfasste: „Das sind doch wir!"
Nach dem Wort von Schwarz erinnern uns Marianne Lemmens Bilder immer wieder daran, dass jeder von uns täglich die Wahl haben, wahlweise konsum-, parolen-, raster- und trendsverwertende Großtiereinheiten oder mündige Individuen zu sein.
Prof. Dr. Volker Neuhaus ist Literaturwissenschaftler von Beruf, Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung „Natur – Idividuen im Raster“, St. Theodor Köln.
Die Eröffnung der Ausstellung findet am 14. März 2019 um 18:30 Uhr im Casino des Wissenschaftszentrums Bonn statt.
Begrüßung:
Ulrike Lenk, Geschäftsführerin des Wissenschaftszentrums Bonn
Einführung:
Rainer Lättgen, Vorsitzender des Kunstvereins für den Rhein-Sieg-Kreis
Hinweis
Mit der Anmeldung bzw. der Teilnahme an der Veranstaltung erklärt sich der Teilnehmer mit der unentgeltlichen und unbeschränkten Nutzung der im Rahmen der Veranstaltung entstandenen Foto- und Filmmaterialien für die Zwecke der Außendarstellung einverstanden.
montags bis freitags von 8.00 bis 19.00 Uhr im Casino.
Der Eintritt ist kostenfrei.
Assistenz der Geschäftsleitung
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Wissenschaftszentrum Bonn
Ahrstr. 45
53175 Bonn